Springe zum Inhalt

Mit Wortblind nach Dänemark- Besuch der VUC Haderslev

Nach fast zwei Jahren Planung ging es los, nach Haderslev zur VUC Süd. VUC ist in Dänemark das gleiche wie die Volkshochschule in Deutschland. Mit acht Leuten in zwei Autos fuhren wir am 02.05.18 morgens um 6 Uhr los. Pünktlich um 10 Uhr waren wir in Haderslev. Uwe von der Selbsthilfegruppe Wortblind hatte bei einem internationalen Treffen in Belgien Susanne Bach kennen gelernt und den Kontakt hergestellt. Susanne ist Kursleiterin an der VUC Süd.

Das Gebäude der VUC ist erst ein paar Jahre alt und dementsprechend beeindruckend ausgestattet. Wir wurden von Susanne Bach und Tine Schurad sehr freundlich begrüßt. Diana von Wortblind ist Dänin und unterstützte uns dabei, die VUC Haderslev zu besichtigen und uns die Unterrichtsmethoden dort zeigen zu lassen. Es folgte ein Vortrag in Deutsch über die VUC und die verschiedenen Möglichkeiten der Fortbildung.

Alles läuft hier digital, Papier und Stift gibt es nicht. Jeder Lerner bekommt gegen ein Pfand von ca. 40 Euro ein iPad geliehen. Das ist sein Arbeitsinstrument. Jeder Lerner bekommt einen persönlichen Lehrer, mit dem der Lerner Lernzeiten in der VUC oder digital zu Hause oder am Arbeitsplatz verabreden kann. Erreichbar ist die VUC von 8-21 Uhr. Die Kosten für einen Schulabschluss sind sehr viel günstiger als in Deutschland und werden in den meisten Fällen vom Staat übernommen. Nach einer Eingangsdiagnose bekommt jemand mit Lese-und Schreibschwierigkeiten zunächst 60 Stunden, die etwa in einen halben Jahr bewältigt werden sollen. Es wird digital vom Lehrer kontrolliert, welches Lerntempo für jeden Lerner individuell am besten ist. Wenn man mehr braucht, bekommt man auch noch weitere 60 Stunden. Alles kostenfrei! Wir sprachen dann auch mit Lernern, die gerade bei Susanne Bach Unterricht hatten. Sie zeigen uns ihre Übungen, natürlich auf Dänisch.

Anschließend bekamen wir ein sehr gutes Essen in der Kantine und dann noch eine Führung durch das ganze Gebäude. Fazit: Bei der technischen Ausstattung hängt Deutschland 20 Jahre hinterher. Allein die Computer - alles von 'Apple'.

Dass es keine Klassengemeinschaften gibt, finden einige von uns nicht so gut. Ich finde das nicht so schlimm, man kann sich ja mit anderen Lernern in der VUC verabreden, wenn man Leute um sich haben möchte. Und ich finde, es ist schon ein Vorteil, wenn man jederzeit und überall lernen kann. Ansonsten war es ein sehr schöner Ausflug mit Wortblind.

Klaus Rätzke

 

 

 

 

Foto: Tim Helten

Am 02./03. März 2018 nahmen Wortblind-Mitglieder am Lerner-Workshop der AlphaDekade des BIBB (Bundesinstitut für Berufsbildung) in Bonn teil.

Mit 30 Teilnehmenden aus Selbsthilfegruppen, Vertreter*innen des BMBF (Bundesministerium für Bildung und Forschung) und anderen Projekten der Grundbildung und Alphabetisierung gab es 2 Tage einen regen Austausch zu den Fragen:

  • Wie arbeiten die Selbsthilfegruppen?
  • Was läuft gut? Was könnte verbessert werden?
  • Wie können Lerner in der Dekade mitarbeiten?
  • Welche Unterstützung brauchen sie?

Impressionen

Auch in diesem Jahr waren wir wieder dabei.

So vieles hat die Buchmesse zu bieten.
Bekannten Autoren zuhören und mit ihnen sprechen.



Interessante Bücher erleben



Am Stand der Alphadekade:

Jutta und Tina gemeinsam mit anderen Lernern im öffentlichen Gespräch. Sie berichten über ihre Erfahrungen und stehen Fragen zu Verfügung



Wir treffen andere Selbsthilfegruppen



Gastland war Rumänien


Vom Winter im März überrascht - und entkommen ...


Auf Einladung des SWR in Baden-Baden war Jutta am 12.01.2018 Gast in der Sendung "Nachtcafé" mit Moderator Andreas Steinbrecher.

Unter dem Motto 'Hinters Licht geführt?" stellt sie dar, wie sie lange Zeit ihre Lese- und Schreibschwierigkeit verborgen hat. Fünf weitere Gäste erzählten andere Geschichten.

Ansehen unter: ARD-Mediathek "Nachtcafe"

 

 

 

 

 

 

(Quelle SWR, Peter A. Schmidt)

Weitere Infos zu dieser Sendung auf Facebook.

 

Aus:
Was zählt. Magazin für eine lebenswerte Zukunft in der Region Lüneburg.
Thema: „Auf|hören“ – Nummer 5, Juni 2017
14 von 100 Erwachsenen können nicht gut genug lesen
14 von 100 Erwachsenen können nicht gut genug lesen

Mancher braucht Mut zum Lesen
Frau Schmitt stellt einen Kaffee aus dem Automaten auf den Tisch.
Sie hatte schon 2 Stunden Unterricht und braucht jetzt einen Munter•macher.
„Immer diese Becher aus Plastik …!“, ärgert sie sich.

„Ist Nachhaltigkeit eigentlich Teil von Grundbildung?“, frage ich. „Nicht als
Unterrichts•fach“, antwortet Frau Thiem.
Sie ist Kursleiterin an der VHS, der Volkshochschule Region Lüneburg. „Aber eine
gute Idee.“
Frau Meyer ist die 3. im Bunde.

Sie ist Mitglied von Wortblind, wie Frau Schmitt. Die Wortblinden haben aufgehört,
ihr Problem zu verstecken. Sie stärken sich dabei gegenseitig den Rücken.
Sie kommen aus den verschiedenen VHS-Kursen, in denen sie lesen lernen.

Doch die Selbsthilfe•gruppe der VHS will mehr: Sie geht an die Öffentlichkeit. Denn
sie will das Tabu brechen, sie will aufklären.
Sie will anderen Betroffenen helfen.

7,5 Millionen

Betroffen sind 7,5 Millionen Erwachsene. Für Lüneburg und den Landkreis geschätzt
sind es 15.000.
Der Begriff lautet: funktionale Analphabeten (sprich: An-al-fa-bee-ten).
Diese Menschen können nicht gut lesen und schreiben. An der VHS können sie es
lernen. Mit Spaß. Deshalb klappt das.

Wer nicht gut lesen kann, der konnte oft andere Sachen auch nicht lernen.
Sachen, die zur Grundbildung gehören. Sachen, die man im Alltag braucht.
Deshalb bietet die VHS für Lese-Lerner noch andere Kurse an: zum Beispiel Rechnen
und den Umgang mit dem Computer. Die VHS Region Lüneburg arbeitet schon lange
in diesem Bereich. Deshalb ist sie Regionales Grundbildungs•zentrum geworden.

In Niedersachsen gibt es 8 von diesen Zentren. Ihr Ziel: Die Situation verbessern,
Möglichkeiten eröffnen. Denn Bildung bedeutet auch, sich selber informieren können.
Im Beruf weiterkommen. Mitreden können. Anerkennung. Teilhabe. Das ist übrigens
auch ein wichtiger Aspekt von Nachhaltigkeit.

Funktionale Analphabeten

Das Wort Analphabet mögen Frau Schmitt und Frau Meyer nicht so gern. Das kann
ich verstehen. Sie haben einen Schul•abschluss. Ihre Lehre abgeschlossen. Sie haben
in ihrem Beruf gearbeitet.

Beide betonen, dass sie auch vor den Kursen an der VHS schon lesen konnten:
einfache Wörter, kurze Sätze. Aber es war anstrengend. Es ging nicht mal so eben
nebenbei.
Es reichte nicht, um normal zu „funktionieren“. Kein schönes Wort für Menschen.
Doch das ist gemeint.

Ständig unter Strom

Alles Schriftliche bedeutet Stress. Auf Dauer macht das krank.
Navi (sprich: Na-wi). Fahrplan. Formulare. Auftrag oder Bericht auf der Arbeit.
Aushänge. E-Mails (sprich: i-Meels).
Oder der Einkauf:
Beide sagen, sie haben immer wieder falsch eingekauft.

Haftcreme statt Zahncreme: Peinlich, wenn eine Freundin dabei ist. Aber Frau
Schmitt reagiert sofort. Sie sagt lachend: „Ups, da hab ich mich vergriffen.“

Schnell eine Erklärung oder Ausrede haben, darin sind alle Wortblinden gut.
Auch schauspielern hilft, sagt Frau Schmitt. Sie hat oft die Augen so bewegt,
als ob sie lesen würde. Deshalb hat das Umfeld auch nichts gemerkt.

Ursachen

Ist die Schule schuld? – Klare Frage, klare Antwort. 3-mal: „Ja!“
Dann räumen alle 3 ein:
Es ist meist eine Mischung. Aber die Schule geht eben nicht genug darauf ein,
wenn jemand länger braucht. Oder wenn es zu Hause Probleme gibt.

Die Kinder kommen einfach in die nächste Klassen•stufe. Frau Thiem nennt das
„pädagogisch versetzen“. Nicht versetzen ist aber auch keine Lösung. Besonders
wenn Jugendliche sich in der Schule nicht mehr wohl fühlen. Ein weites Feld …
Die Patent•lösung gibt es nicht.

Frau Meyer hat in der weiterführenden Schule gute Erfahrungen gemacht. Aber die
Lese-Blockade war einfach schon da. In der Berufsschule hat man ihr die Fragen in
der Prüfung dann vorgelesen. Das war toll.

Lebenslanges Lernen

Die Mitglieder von Wortblind haben das Lesen und Schreiben alle als Erwachsene
in ihr Leben geholt. Die Lese-Kurse an der VHS haben ihnen dabei geholfen.
Es ist nie zu spät.
Und es lohnt sich immer.

Gut lesen lernen

Kontakt:
Die Gruppe Wortblind trifft sich am 2. Mittwoch im Monat um 19 Uhr
in der VHS (Haagestraße 4). Jeder ist willkommen.

Weitere Infos unter:
www.wortblind-lueneburg.de
Telefon: Montag + Freitag, 9:30 bis 11:30 Uhr: 0157-5062-8468

VHS – Volkshochschule Region Lüneburg:
www.vhs.lueneburg.de
Telefon: 04131-1566-0
————————————————
Text von Angelika Pohl.
Aus: Was zählt. – Magazin für eine lebenswerte Zukunft in der Region Lüneburg.
Was zählt. „Auf|hören“ – Nummer 5 im Juni 2017.
Die Texte in Was zählt. stehen unter einer Creative-Commons-Lizenz (CC)
(sprich: Kri-äi-tif Komm-mens).
Foto: pixabay.com (Hans), bearbeitet von I. Schwarm.