Selbsthilfegruppe wirbt mit Aktion am Welttag der Alphabetisierung für das Lesen- und Schreibenlernen
VON ANTJE SCHÄFER
Lüneburg. Irgendwann wollte Jutta Schmitt das Versteckspiel nicht mehr mitmachen. „Es ist keine Schande, eine Schwäche beim Lesen und Schreiben zu haben und man kann etwas dagegen tun“, sagt die 58-Jährige. Sie entschloss sich nicht nur, einen Alphabetisierungskursus bei der Volkshochschule zu besuchen, sondern ist auch Gründungsmitglied der Selbsthilfegruppe „Wortblind“ für Erwachsene mit Lese- und Schreibproblemen.
Diese machte gestern anlässlich des Welttages der Alphabetisierung mit einer Ballonaktion im Clamartpark auf das Thema aufmerksam.
Motto: Aufsteigen? – Lerne Lesen und Schreiben.
Teilnehmer der Alphabetisierungs- und Grundbildungskurse der VHS lassen Luftballons im Clamartpark aufsteigen.
Foto: t&w
Es brauchte Mut, um an der Situation etwas zu ändern
„Mein Anliegen ist, Menschen mit Lese- und Rechtschreibschwäche aus ihren Wohnungen zu holen und sie zum Lernen zu animieren“, sagt Martina Meyer (54), die ebenfalls Gründungsmitglied von „Wortblind“ ist. Und dass das Lernen Spaß machen kann, weiß sie aus eigener Erfahrung. Sie habe zwar lesen und schreiben gekonnt, aber mit Einschränkungen. Lange habe ihr der Mut gefehlt, etwas zu unternehmen, doch dann habe sie beider VHS Kurse besucht. Mit Erfolg. Das habe auch ihr Selbstwertgefühl gestärkt.
Martina Meyer ist Mitglied der
Selbsthilfegruppe.
Foto: t&w
Diese Erfahrung hat auch Maik Klein (34) gemacht. Der gelernte Einzelhandelskaufmann erinnert sich noch gut, dass er während der Berufsschule
immer „Bammel“ gehabt habe, weil er Defizite beim Lesen und Schreiben hatte. Jetzt möchte er eine Ausbildung zum Tischler machen, denn er hat ein Faible für Handwerkliches. Um fit zu sein für Ausbildung und Berufsschule hat er nun Kurse bei der VHS belegt.
Stefanie Voß-Freytag, Programmbereichsleitung Schulabschlüsse, Grundbildung, Lesen und Schreiben, weiß: „In der Schule haben manche schon Defizite, die nehmen mit der Zeit zu.“ Doch oft braucht es viele Jahre bis die Betroffenen sich entschließen, etwas dagegen zu tun – weil sie möglichst viel Abstand zur Schulzeit haben wollen.
„Doch im Alltag wie auch fast in allen Berufen, ist Schreiben und Lesen wesentlich“, ergänzt Gabriele Thiem, die die Selbsthilfegruppe Wortblind bei der VHS begleitet. Betroffene, die schon ein Handicap haben und Lesen und Schreiben nicht trainieren, kommen so in die Bredouille. Das Versteckspiel schürt nicht nur Ängste, sondern kann auch krank machen.
Die Selbsthilfegruppe Wortblind versteht sich als erste Anlaufstelle für Betroffene. Sie bietet Austausch und Zusammenhalt, informiert außerdem über die Alphabetisierungs- und Grundbildungskurse der VHS. Zur vielfältigen Öffentlichkeitsarbeit gehört auch ein Flyer, der unter anderem in Arztpraxen und bei der Kibis ausgelegt ist.
„Wir möchten Betroffenen, die sich aus Angst vor gesellschaftlicher Stigmatisierung scheuen, professionelle Hilfe zu suchen, Mut machen“, sagen die drei Mitglieder. Die Gruppe trifft sich stets am zweiten Mittwoch eines Monats um 19 Uhr in der Volkshochschule an der Haagestraße.
Telefonisch ist sie zu erreichen unter ☎ (0157) 50 62 84 68.
Weitere Informationen unter www.wortblind-lueneburg.de im Internet.
[Mit freundlicher Genehmigung der Landeszeitung, Ausgabe 212 vom Freitag, den 09.09.16, Seite 5]